Wir Angehörige psychisch Kranker Menschen begrüßen es sehr, dass das Wallraff-Team unhaltbare und inhumane Zustände, die in manchen psychiatrischen Krankenhäusern anzutreffen sind, öffentlich und bekannt macht.
Unser Angehörigenverband setzt sich für eine humane und moderne Psychiatrie ein, in der soziale und psychotherapeutische Behandlungen gleichwertig neben medikamentöser Behandlung stehen und Zwangsmaßnahmen die absolute Ausnahme darstellen und möglichst vermieden werden.
Doch immer wieder schildern Angehörige bei den Gruppentreffen eben diese in der Reportage gezeigten Zustände, denen sie und ihre betroffenen Angehörigen hilflos ausgeliefert sind. Wir erleben aber auch immer wieder, dass durch ein hohes Engagement von professionell Mitarbeitenden gute Ergebnisse möglich wären.
Die in dem Film gezeigten Missstände sind unserer Meinung nach zum Teil Auswirkungen struktureller Mängel und als Folge davon eine Überforderung der Mitarbeitenden:
- Die Stationen sind zu groß, es sind zu viele Kranke auf engem Raum untergebracht.
- Die Personalverordnung in Kliniken ist veraltet und völlig überholt. Die Krankenkassen schreiben kürzere Liegezeiten vor, was zu einer höheren Wechsel-Frequenz führt. Auf die Akutstationen kommen mehr Patienten unter massivem Drogen-Einfluss, dadurch steigt die Aggressivität.
- Wie im Bericht erwähnt, stehen häufig besonders in privatwirtschaftlichen Einrichtungen die ökonomischen Interessen vor den humanitären Verpflichtungen. Psychiatrische Abteilungen an großen Kliniken müssen oft „profitabel“ arbeiten, um defizitäre somatische klinische Abteilungen mit modernen Geräten quer zu finanzieren.
Der stationären Versorgung geht leider eine ambulante psychiatrische Versorgung voraus, die ebenfalls durch erhebliche strukturelle Mangel geprägt ist.
Wie im Bericht erwähnt, sind in anderen europäischen Ländern weniger Klinikbetten erforderlich, da es dort häufig eine flächendeckende ambulante und individuelle Betreuung zuhause gibt.
Das fordern die Angehörigenverbände seit langem:
Aufsuchende Krisendienste und Behandlung, sog. Home-Treatement, unter Einbeziehung der sozialen Netzwerke, entsprechend dem heutigen Stand der Wissenschaft
(Wir verweisen hier auf einen kürzlich in der ZEIT erschienenen Artikel und auf das von Dr. Volkmar Aderhold vertretene Konzept der Netzwerkgespräche und des Offenen Dialog).
Wir schließen uns der zusammenfassenden Feststellung des Berichts an:
Diese Psychiatrie will niemand: Nicht die Betroffenen, die Profis und die Angehörigen.
Die Folge dieser Psychiatrie, wie sie sich heute zunehmend unter ausschließlich ökonomischen Gesichtspunkten entwickelt, ist eine bei den Patienten oft zunehmende Verschlimmerung ihres Krankheitszustandes durch öffentliche psycho-soziale Vernachlässigung. Angehörigen wird nicht selten die Zusammenarbeit verweigert, sie müssen der oft dramatischen Entwicklung ihres erkrankten Angehörigen hilflos zusehen, so dass eine Einweisung mit Blaulicht immer wieder der letzte Ausweg ist. Bei der Entlassung werden sie dann mit dem noch nicht genesenen Patienten allein gelassen. Krankenkassen verweigern die Finanzierung flächendeckender ambulanter Versorgung, da hier Budgetisten das Sagen haben – die Krankenkassen bilden ihre Rücklagen auf Kosten der Versorgung leidender Bevölkerungs-Teile, die keine Lobby besitzen.
Wir appellieren an alle Entscheidungsträger im Gesundheitswesen, in Politik und Krankenkassen, dafür zu sorgen, dass psychisch erkrankte Menschen in unserem Land eine menschenwürdige Behandlung nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen bekommen, die sie nicht noch mehr schädigt und traumatisiert.
Wie wir im Bericht gesehen haben, gibt es auch in Deutschland Beispiele für gelingende psychiatrische Versorgung.
Eine Liste mit Forderungen und Wünschen der Angehörigen kann auf der Website des Landesverbands der Angehörigen Hessen eingesehen werden www.angehoerige-hessen.de
Weiterhin schließen wir uns der Forderung (wie am Ende des Films geäußert) an, unabhängige Untersuchungskommissionen in Kliniken zu schicken. Kliniken dürfen kein rechtsfreier Raum sein, wir appellieren hier an die Fürsorgepflicht des Staates seinen Bürgern gegenüber.
Jeder einzelne Entscheidungsträger im Gesundheitswesen sollte sich fragen, ob er eine solche Behandlung wollte, wenn er oder sein Angehöriger eine psychische Erkrankung erleiden würde.
Das Organisationsteam der Arbeitsgemeinschaft der Angehörigen